“Die letzten noch vorhandenen Judenfrauen sind jetzt in einem Haus in der Schweizstraße untergebracht worden, so dass sie kaum noch im Stadtbild auffallen“. So lesen wir in der Amtschronik Münstermaifeld unter dem Datum 26.06.1942. Das Haus, das heute nicht mehr steht, hatte der Viehhändler Karl Marx I bewohnt, der sich 1938 mit einem Teil seiner Familie in die USA retten konnte. Seine Tochter Ottilie Wolf hatte es 1921 erworben. Am 27.07.1942 finden wir in der Amtschronik den Eintrag: “Die letzten Juden sind heute hier ausgezogen. Sie kommen nach Theresienstadt. Damit ist unsere Heimat endlich judenfrei. Rund 200 Jahre saßen diese Plagegeister auf dem Maifeld zum Schaden unseres Volkes. Nun sind wir sie los und kein Mensch weint ihnen eine Träne nach.“ Einen Monat hatten 5 Frauen in dem “Judenhaus“ auf den Abtransport nach Theresienstadt, wie man ihnen und der Öffentlichkeit sagte, gewartet. Über Theresienstadt durfte als “Vorzeigelager° gesprochen werden. Die Frauen mussten, aus ihren Häusern in der Nachbarschaft vertrieben, im Ungewissen über das Schicksal ihrer deportierten oder geflohenen Angehörigen, ohne Hoffnung ausharren. Am 27.07.1942 brachte der Transport X/1, von Trier über Koblenz und Köln, 1079 Juden, zumeist alte Menschen, nach Theresienstadt. Unter ihnen waren die 5 Frauen aus dem “Judenhaus“ in Münstermaifeld. Auf der Deportationsliste dieses Zuges finden wir: Amalie Marx, 72 Jahre, Witwe des Viehhändlers Karl Marx II. Sie musste ihr Haus, Krimmgasse 5, nach 1940 verlassen und war danach einige Zeit in der Bornstraße 3, dem Haus des Moritz Diewald untergebracht. Sie hatte 1939 zusammen mit ihrer Tochter Gerda vergeblich einen Ausreiseantrag nach Frankreich gestellt. Ihre vier Söhne, Ernst, Julius, Richard und Walter befanden sich auf der Flucht, ihre Tochter Gerda war mit ihrem Mann Robert an einen unbekannten Ort deportiert worden. Ob sie Nachricht von ihren Kindern hatte, wissen wir nicht. Julius, von Mechelen am 15, August 1942 nach Auschwitz deportiert und Gerda, an unbekanntem Ort, wurden ermordet. Julius hatte war über Frankreich nach Belgien geflohen und lebte in Antwerpenwoh. Ernst und Walter konnten sich in die Schweiz retten, Richard überlebte in Frankreich.. Auch Setta Diewald, 78 Jahre alt, Witwe des Viehhändlers Samuel Diewald, musste ihr Haus, Frankenstraße 13, nach 1940 verlassen und hielt sich zusammen mit Amalie Marx in dem Haus Bornstraße 3 auf. Vom Tod ihres Sohnes Josef in Dachau am 11.05.1941 wusste sie vielleicht. Ihr Sohn Fritz befand sich in den Niederlanden und überlebte mit seiner Frau und seiner Stieftochter in zahlreichen Verstecken..Johanna Bender, 65 Jahre alt, Witwe des Textilhändlers Rudolf Bender, hatte keine Kinder. Sie hatte ihr Haus in der Untertorstraße 11 vor 1940 aufgeben müssen und lebte bis zu ihrer Internierung in dem “Judenhaus“ im Haus der Familie Samuel Kaufmann, Untertorstraße 9. Im Haus Untertorstraße 9 lebte zuletzt noch Samuels Mutter, Bertha Kaufmann, 89 Jahre alt, Witwe des Metzgers Hermann Kaufmann. Sie hatte noch 1938 vergeblich einen Ausreiseantrag zu ihrer Enkelin Nora nach Palästina gestellt. Bertha Kaufmann war die Älteste der im “Judenhaus“ inhaftierten Frauen. Ihren Enkelinnen Erna, Ilse und Nora war die Flucht nach England, Palästina und Argentinien gelungen. Ihr Sohn Samuel Kaufmann war am 08.08.1941 in die israelitische Heilanstalt in Bendorf-Sayn eingeliefert worden, wo er am 10.09.1941 starb. Ihre Schwiegertochter Selma war am 30. April 1942 nach Krasniczyn deportiert worden. Jannchen Wolf lebte bei ihrer Tochter Berta in der Pilligertorstraße 10. Jannchen Wolf, geb. Isselbächer, *22.01.1856 in Isselbach, war 86 Jahre alt, Witwe des Metzgers Bernhard Wolf in Mertloch. Ihr Schwiegersohn Alex Kaufmann war am 8. Juni 1942 in Bernburg getötet worden, ihre Tochter Berta schon an einen unbekannten Ort deportiert, ebenso ihr siebenjähriger Enkel Siegfried. Wo und wie ihre fünfjährige Enkelin Lilli Opfer des Holocaust wurde, wissen wir nicht. Jannchen Wolfs Sohn Albert arbeitete in Düsseldorf als Schneider. Er wurde am 10.11.1941 nach Minsk deportiert. Bis zum 06.11, 1941 hielt sich auch Jannchens Enkel Siegfried in Düsseldorf auf Hier, in der ehemaligen jüdischen Schule in der Grafenberger Allee 78, waren 15 Männer und Frauen untergebracht, die auf den Transport nach Minsk warteten. Vier Tage vorher kehrte der sechsjährige Siegfried nach Münstermaifeld zurück.
Setta Diewald und Bertha Kaufmann überlebten die Ankunft in Theresienstadt nur wenige Tage. Der Tod von Setta Diewald wurde für den 6. August 1942 gemeldet, der von Bertha Kaufmann für den 03. August 1942. Nur 200 km von Bertha Kaufmann entfernt war zur gleichen Zeit ihr Neffe Alex Kaufmann, seit 1939 Shilton, als englischer Soldat im Kriegsgefangenenlager Hohenfels. Sein Vater Siegismund Kaufmann war Ende des 19. Jh. nach England ausgewandert. Amalie Marx und Johanna Bender wurden am 19. September 1942 von Theresienstadt nach Treblinka verlegt und dort ermordet. Das weitere Schicksal der Jannchen Wolf in Theresienstadt ist nicht bekannt.
Als der Amtsbürgermeister Adams am 27.07. 1942 an die Gauleitung des Gaues Moselland in Trier und die Staatspolizeileitstelle (Gestapo) in Koblenz melden konnte, dass Münstermaifeld judenfrei sei, kam ein Prozess der Verfolgung und Vernichtung zum Abschluss, der in seiner Endphase durch 3 Ereignisse gesteuert wurde. Am 9. November die Reichspogromnacht, am 23. Oktober 1941 das Ausreiseverbot für die jüdische Bevölkerung und am 20. Januar 1942 die “Wannseekonferenz“. Danach sollten die deutschen Juden zunächst in Durchgangsghettos und von dort weiter in den Osten transportiert werden. Juden im Alter von über 65 Jahren und Juden mit Kriegsverletzungen oder Träger des EK I waren für das Ghetto Theresienstadt vorgesehen. Zwischen dem 9. November 1938 und dem Verbot von Ausreisen vom 23.10. 1941 wurden von den noch in Münstermaifeld lebenden Juden nur Männer, nach Einlieferung in ein KZ, ermordet. Es waren dies Moritz Diewald, Alex Kaufmann und Josef Diewald. Hinzu kam Bernhard Kaufmann aus der israelitischen Heilanstalt Sayn. Auf der Flucht im Ausland wurde Julius Marx gefasst, deportiert und getötet. Nach dem 23. Oktober 1941, dem Verbot der Ausreise lebten noch 3 jüdische Männer, 11 Frauen und 2 Kinder in der Stadt. Im Vollzug der Vernichtungsorder der Wannseekonferenz wurden bis zum Juni 1942 deportiert und ermordet: Adolf, Charlotte und Edith (15 Jahre) Bender, Selma Diewald, Siegfried Diewald, Robert und Gerda Hessel, Berta und Siegfried (6 Jahre) Kaufmann, Selma Kaufmann, Berta Herta Oster. Nur von Selma Diewald, die über Dortmund nach Auschwitz deportiert wurde und von Selma Kaufmann, die am 30. April 1942 über Koblenz nach Krasniczyn verschleppt wurde, kennen wir den Zeitpunkt und den Ort der Deportation. Das Schicksal der bis zum 27. Juli 1942 noch verbliebenen 5 Frauen im “Judenhaus“ im Alter von 65 bis 88 Jahren ist oben geschildert worden. Die nach dem 10. November 1938 in das KZ Dachau überführten Männer wurden noch vom Hohn der Karnevalisten begleitet. Es ist anzunehmen, dass am 27.07.1942 beim Anblick der 5 alten Frauen, die zum Abtransport durch die Stadt geführt wurden, niemandem der Münstermaifelder nach 3 Jahren Krieg noch zum Lachen zumute war.